Archivierter Inhalt

Krise ohne Ende: Das 20. Jahrhundert als Hypothek

Michael Werz

28. Januar 2009
Von Michael Werz
Von Michael Werz

Obama macht alles gleichzeitig: erstes Fernsehinterview im Weißen Haus mit dem in Dubai beheimateten Nachrichtenkanal Al Arabiya, Lobbyarbeit im Kongress bei Republikanern (und Demokraten) für das neue Konjunkturpaket, Warnschuss in Richtung Autoindustrie in Sachen verschärfter CO2-Standards, Dekret zur Schließung von Guantanamo und ein halbstündiges Telefongespräch mit Angela Merkel, das dem Vernehmen nach sehr freundschaftlich verlief und in dem politische Übereinstimmung zu Klimawandel, Afghanistan und Nahost verbucht wurde. „America is back in business”, war aus der deutsch-amerikanischen Szene in Washington zu hören - die USA sind endlich wieder da.

Obama hat nicht nur die erste Amtswoche in Höchstgeschwindigkeit bewältigt, auch die Senatsanhörungen der wichtigen Minister laufen gut. Nur im Handelsministerium werden inzwischen Wetten darüber abgeschlossen, was zuerst geschehen wird: die Ernennung eines Ministers oder die Anschaffung des Hundes, den Obama seinen Töchtern versprochenen hat. Durch den überraschenden Rückzug von Bill Richardson wegen Korruptionsvorwürfen ist die Besetzung des Ressorts ins Stocken geraten. Im Weißen Haus wird nun nach einem anderen Latino gesucht, der einspringen könnte, damit der ethnische Proporz des Kabinetts nicht gefährdet ist.

Vertrauensverlust bei den US-Verbrauchern

Viele politische Initiativen stehen unter dem Vorbehalt der sich vertiefenden Finanz- und Wirtschaftskrise, und selbst die kampferprobten amerikanischen Konsumenten trauen sich und der Welt nicht mehr. Der zugehörige Vertrauensindex fiel im Januar auf 37,7 Punkte. Was auch immer das heißen mag, es ist der niedrigste Stand, seit diese Daten im Jahr 1967 zum ersten Mal erhoben wurden. In einer Gesellschaft, die zwei Drittel ihres Wachstums über den Binnenkonsum erreicht, sind das bedrohlich Zahlen.

Darum kämpft Obama auch in Kongress und Senat für die Durchsetzung seines „amerikanischen Aufschwungs- und Reinvestitionsplans“, den er in einer Radioansprache Anfang Januar zum ersten Mal vorstellte. Damals war noch von einem geschätzten Gesamtvolumen von 675 Milliarden US-Dollar die Rede, inzwischen sind es 825 Milliarden. Das Programm ist ambitioniert. Eckpunkte sind die Verdopplung der Produktion erneuerbarer Energien, größere Energieeffizienz von Gebäuden, die Modernisierung von Straßen, Brücken und öffentlichen Schulen, die Digitalisierung des Gesundheitssystems, die Modernisierung von Hochschulen, Laboratorien und Bibliotheken sowie Steuererleichterungen für amerikanische Arbeiter.

Der teuerste Plan der Geschichte

Voraussetzung für diese Pläne ist die größte Kreditaufnahme in der Geschichte der USA. In den vergangenen Monaten hat die Regierung hunderte Milliarden Dollar direkt investiert und Garantien für Einlagen, Kredite und Vermögenswerte in Höhe von über acht Billionen Dollar übernommen. Es ist eine unvorstellbare Summe - mehr als die Summe der Kosten für den Louisiana Purchase (1803 kauften die USA von Frankreich knapp ein Viertel ihres heutigen Territoriums), den New Deal, den Marshallplan, den Koreakrieg, den Vietnamkrieg und die Hypothekenkrise Ende der 1980er Jahre.

Die USA haben im Grund eine Hypothek auf das gesamte 20. Jahrhundert aufgenommen. Die Aussichten sind nach wie vor ungewiss: Schätzungen für die Arbeitslosenquote liegen zwischen acht und zwölf Prozent, das Haushaltsdefizit wird in den kommenden Jahren sechs bis neun Prozent betragen. Hinzu kommt der schlechte finanzielle Zustand vieler Bundesstaaten und Verwaltungsbezirke, die unter Steuerausfällen und Engpässen am Rentenmarkt besonders stark leiden. Selbst in den Bereichen Infrastruktur und Forschung verringert sich der Wettbewerbsvorteil der Vereinigten Staaten. Die Krise wirkt sich auf so vielen Ebenen des Wirtschafts- und Arbeitslebens aus, dass die neue Regierung an zahlreichen Stellen gleichzeitig aktiv werden muss. Es bleibt abzuwarten, in welchem Verhältnis notwendige und unpopuläre Reformen zu den Zugeständnissen an die Bevölkerung stehen werden - bereits im Herbst 2011 wird in den USA bei den nächsten Wahlen über die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses und des Senats entscheiden.

US-Autoindustrie - Zukunft auf Pump ?

Für Barack Obama stehen schwierige Entscheidungen an. Sein ambitioniertes umweltpolitisches Programm steht in Zeiten verbilligten Öls und maroder Autoindustrien auf wackeligen Füssen. Jeder weiß, dass im Grund ein oder zwei der großen US-Autohersteller geopfert werden müssten; wer selbst in den Boomjahren, als hochmotorisierte Pick-up Trucks rentabel waren, nicht in der Lage war, Geld zu verdienen, hat keine Aussicht, die nächsten Jahre zu überleben. Die Region um Detroit jedoch ist wichtig für die Wiederwahl des Präsidenten. Eine große Firmenpleite würde zahlreiche Zulieferer mit in den Abgrund reißen und die ökonomische und soziale Infrastruktur in Illinois, Indiana, Michigan und Ohio aufs Spiel setzen. Allein diese Bundesstaaten, die Barack Obama allesamt gewann, verfügen über knapp siebzig Wahlmannstimmen, das heißt, hier könnte 2012 die Entscheidung über den nächsten Präsidenten fallen.

Al Arabiya das erste Fernsehinterview im Oval Office zu gewähren, ist mutig. Als US-Präsident General Motors oder Chrysler über die Klinge springen zu lassen, während Toyota und Honda in den Südstaaten weiterproduzieren, wäre politischer Selbstmord.


Michael Werz ist Transatlantic Fellow des German Marshall Fund of the United States und Adjunct Professor am BMW Center for German and European Studies an der Universität von Georgetown in Washington DC.